Einen unserer Programmpunkte der Indienreise stellte der Besuch bei Flocert in Bangalore dar. Flocert ist die globale Zertifizierungsgesellschaft für das Fairtrade Siegel. Am 16.10.2018 war unsere Schülergruppe bei den Managern von Flocert India eingeladen. Kaum hatten wir das Gebäude betreten, befand man sich in einer vollkommen anderen Welt: nämlich zurück in Deutschland. Kein anderes Gebäude auf unserer Reise hatte diese europäischen Standards. Dadurch wurde von Anfang an deutlich, wie finanzstark dieses Unternehmen sein musste. Auf der Etage von Flocert angekommen, wurden wir herzlichst begrüßt, wir setzten uns in einen Kreis und begannen erst einmal, uns miteinander bekannt zu machen. Wir erfuhren, wie lange die einzelnen Personen schon für Flocert arbeiten und was genau ihr Aufgabengebiet ist und erzählten vom Grund unserer Reise und wer wir sind und von welchen Schulen wir kommen. Wir erfuhren, was genau die Aufgaben von Flocert sind und welches Verfahren ein Hersteller durchlaufen muss, wenn er seine Produktionskette zertifizieren lassen möchte.
Dabei kommen Kontrolleure nach Terminabsprache zu den einzelnen Fabriken und nach einer Checkliste wird beurteilt, ob die Fabrik bereit ist, das Fairtrade Siegel zu bekommen. Dabei sprechen sie mit den Arbeitern in Gruppen, denn so berichten die Arbeiter eher von ihren tatsächlichen Arbeitsbedingungen und erzählen, wie sie behandelt werden. Je nachdem, wie diese Beurteilung des Betriebs dann ausfällt, wird dieser öfter oder weniger oft kontrolliert und dies auch unangekündigt. Um das Fairtrade Siegel zu bekommen muss man viel Geld bezahlen. Zum Einen an den Kontrolleur, der erst einmal 7-8 Jahre als Qualitätskontrolleur gearbeitet haben muss, zum Anderen natürlich an die Gesellschaft Flocert/Fairtrade. Bei den Kosten wird aber laut Flocert darauf geachtet, wie groß die Fabrik ist. Denn die kleinen Betriebe können es sich meist nicht leisten, sich zertifizieren zu lassen.
Am meisten hat mich der Satz: „They (the controllers) aren’t the police, this isn’t the job of the Fairtrade organisation.“ beeindruckt. Flocert ist nicht dafür zuständig, die Einhaltung der Standards durchzusetzen. Der Chef von Flocert versuchte, uns all unsere Fragen zu beantworten; dies tat er mit sehr viel Leidenschaft, unter Einbezug der Hände und in einem sehr starken indischen Akzent.
Nach diesem Besuch wurde mir das erste Mal so richtig bewusst, dass ein solches Siegel keine wirkliche Garantie für das Einhalten von Standards ist, denn erstens erfolgt der Kontrollbesuch von Flocert nach Vorankündigung, d.h. man kann Dinge noch wegräumen oder ändern und zweitens sind die Standards z.T. sehr niedrig. Vor unserem Besuch dachte ich, wenn das Fairtrade Logo auf einem Produkt abgebildet ist, dann ist zu 100 % garantiert, dass die Arbeiter fair behandelt und bezahlt werden und das gesamte Produkt fair produziert wurde. Doch ein kleiner Prozentsatz fairer Materialien kann schon Grund für die Verleihung des Siegels sein. Auch wurde mir bewusst, dass am meisten die Europäer auf Zertifikate/Siegel achten. Den Arbeitern in den Fabriken ist es nicht so wichtig, wo sie arbeiten, ihnen reicht es, dass sie überhaupt Arbeit haben. Die Menschen in Indien leben sehr viel mehr im Hier und Jetzt. Auch der Mangel an Bildung spielt hier eine wichtige Rolle. Z.B. konnte ich mich mit Vierjährigen auf Englisch unterhalten, mit Arbeitern aus der Textilbranche jedoch nicht, denn diese hatten weder zu Hause, noch in der Schule Englisch gelernt. Und das war der Fall, obwohl die Fabriken, die wir besichtigt haben, meist Fairtrade zertifiziert waren. Bildungs- standards gehören nicht zu den von Fairtrade beachteten Standards.
Trotzdem hat es sich sehr gelohnt, die Hintergründe und Schwierigkeiten bei der Zertifizierung kennenzulernen. Alle Mitarbeiter von Flocert waren sehr freundlich und aufgeschlossen und haben uns als Schülergruppe viel Zeit gewidmet.
Weitere Informationen zu Flocert: https://www.flocert.net/de/
Isabelle