Zur Zeit befinden wir uns in Tirupur, einer Industriestadt in Südindien. Am 18.10.2016 haben wir mehrere Fabriken in der Umgebung der Stadt besucht. Zuerst waren wir in einer Fabrik von Texcraft und später noch in anderen Fabriken. Texcraft stellt die Stoffe her, die die Inertia-Manufaktur dann verarbeitet und ist somit auch an der Herstellung unserer Produkte beteiligt.
Wir haben sehr viel gelernt, natürlich viel wissenschaftliches, aber vor allem etwas für uns selbst, ein Verständnis für die Produktion, das man ohne es selbst erlebt zu haben, nicht erlangen kann.
Zuerst haben wir bei Kaffee und Keksen eine Einleitung in die Arbeitsprozesse erhalten, die in dieser Fabrik verrichtet werden. Wir hielten uns in einer Wellblechhalle auf. In einer Ecke befand sich das Büro mit zwei Computern, der Rest der Halle diente als Lager für verpackte Stoffe. Es war sehr warm in diesem Raum, obwohl sich direkt neben uns ein Ventilator und eine Klimaanlage befanden. Man konnte sich leicht in die Situation der Arbeiter versetzen, denen bei ihrer Arbeit bestimmt noch wärmer war. In diesem Teil der Fabrik arbeiteten nur Männer, da diese Arbeit körperlich sehr belastend ist. Positiv aufgefallen sind uns drei Feuerlöscher und einen Wasserspender. Wir wollten dann noch den Erste-Hilfe-Kasten sehen. Dieser wurde uns schließlich, nachdem sie noch schnell ein rotes Kreuz darauf geklebt hatten, auch gezeigt. Der Inhalt des Kastens war nicht sehr überzeugend, doch wurde uns versichert, dass ein Krankenhaus fußläufig erreichbar ist.
Im Büro wurden uns dann noch die Schwierigkeiten erläutert, mit denen die Fabrikleiter zu kämpfen haben.
In der konventionellen Produktion gibt es einen Leiter, der alle Arbeitsschritte organisiert und überwacht. Die Arbeiter der einzelnen Produktionsschritte kennen sich nicht, es ist sozusagen eine “Secret Industry”. Im Gegensatz dazu macht “faire&organic” alle Teilnehmer der Produktionskette für die anderen Teilnehmer sichtbar.
Die zweite Fabrik färbt, wäscht und trocknet die Stoffe, die später dann zu Kleidung verarbeitet werden. Die fertigen Stoffe beziehen sie, neben Texcraft, von anderen Fabriken. Diese Fabriken sind von GOTS (Global Organic Textile Standards) zertifiziert, dass heißt die Stoffe wurden unter bestimmten Voraussetzungen hergestellt. Um das GOTS Zertifikat zu erhalten brauchen die Fabriken viel Geld, deshalb können kleine Fabriken sich dieses Zertifikat nicht leisten und Fabriken mit viel Geld können sich ihr Zertifikat auch erkaufen. Die Ware kommt in versiegelten Paketen, mit Zertifikat des Produzenten, an, doch kann nicht bewiesen werden, dass die Produkte nicht vertauscht wurden. Das Zertifikat des Herstellers ist die einzige Garantie, allerdings muss es von einem unabhängigen, von der Regierung geprüften, Labor geprüft werden.
Hier hatten wir die Möglichkeit einige Arbeiter zu interviewen. Das Problem bestand jedoch darin, dass die Arbeiter kein Englisch Sprachen. Also mussten die Fabrikleiter übersetzen. Die meiste Zeit haben also nur die Leiter die Fragen beantwortet und die Arbeiter standen nur daneben. So erfuhren wir, dass in dieser Fabrik sieben Tage die Woche acht Stunden pro Tag gearbeitet wird. Der Arbeiter mit dem wir sprachen kam nicht aus Tirupur und erhielt 20.000 Rupies im Monat. Er lebt mit 5 Anderen in einer kleinen Wohnung für die sie 7.000 Rupies im Monat bezahlen müssen. Er ist nicht verheiratet und schickt all sein Geld zu seiner Familie. Gesundheitlich sahen alle Arbeiter sehr gut aus. Nur bei einem viel auf, dass er sehr dünn war und rote Augen hatte.
Nach dieser Einführung wurden uns die Arbeiter vorgestellt. Sie waren alle sehr stolz, jedoch auch etwas schüchtern. Sie sprachen nur die lokale Sprache und kein Englisch. Was uns jedoch gefreut hat war, dass sie auch fragen zu uns gestellt haben, die symbolisierten das sie sich über uns und unsere Idee der Schülerfirma nachgedacht haben.
Gearbeitet wird in dieser Fabrik acht Stunden am Tag, sechs bis sieben Tage die Woche. Wer Überstunden macht kann auswählen ob er mehr Geld erhalten will oder ob er diese Zeit frei haben möchte.
Die Arbeiter verdienen je nach Fähigkeiten 10.000 – 17.000 Rupies (137 – 233 €) pro Monat.
Alle Arbeiter sind bis zu 200.000 Rupies versichert. In diesem Teil der Fabrik gab es nur lokale Arbeiter, in anderen Teilen auch wenige Migranten aus anderen Bundesstaaten.
In der nächste Fabrik die wir besuchten wurden die gefärbten Stoffe gewaschen, allerdings gab es dort auch alle anderen Schritte der Produktionskette. Für das dreckige Wasser was hierbei entsteht, haben sie eine Kläranlage, sodass sie das Wasser wieder benutzen können und kein Wasser verschwenden. Auch in dieser Fabrik war es sehr warm. Diese Fabrik ist allerdings kein Partner von Firmen die mit uns in Kontakt sind, wir waren nur dort um das Konzept der Kläranlage zu verstehen.
Als nächstes besichtigen wir eine etwas größere Fabrik, kaum 5 Minuten von der vorigen entfernt. In dieser Fabrik wurden die Stoffe bedruckt. Auch hier fielen wir, wie eigentlich überall in Indien, wegen unserer Hautfarbe sofort auf und alle waren sehr interessiert an uns. Mittig der Fabrik verlief eine lange Maschine. Hier werden die Stoffe eingespannt und dann bedruckt. In die Maschine kann man Nickelrollen mit verschiedenen Aufdrücken einsetzen und so drucken. Danach wurde der Druck getrocknet, gewaschen und später noch mit Hitze gefestigt. Negativ ist uns hier aufgefallen, dass die Arbeiter alle Barfuß und ohne Schutzkleidung arbeiteten. Jedoch waren sehr viele Feuerlöscher zu sehen die noch bis 2018 “TÜV” hatten. Zusätzlich zur Hitze die durch die Sonne kam, waren auch die Maschinen sehr heiß, was das Arbeiten nicht gerade erleichtert. Es waren auch Überwachungskameras zu sehen. Als die Arbeiter uns die große Maschine zeigten, kletterten diese bei Betrieb darauf herum, wobei die Frage aufkommt ob es überhaupt sicher ist dies ohne Schuhe zu tun. Nachdem die Stoffe gefärbt sind, werden sie getrocknet und in eine Maschine gelegt, in der die Farbe gefestigt wird, sodass sie nicht beim ersten Mal waschen verschwindet. Die nächsten Schritte sind dann das Waschen und Nähen.
In dieser Fabrik wird von 9 bis 21 Uhr gearbeitet und sonntags haben alle frei. Verdienen tun die Angestellten 10.000-30.000 Rupies pro Monat. 30.000 Rupies erhalten jedoch nur die sehr hochqualifizierten Mitarbeiter bzw. das niedere Management. Die Ausbildung für diese Tätigkeiten dauert ein Jahr. Es gibt auch eine Sicherheitseinweisung jedoch nur in der lokalen Sprache. Da in dieser Fabrik auch Migranten wohnen ist dies ein Problem, da diese keine Chance haben die Einweisung zu verstehen. Auch in dieser Fabrik konnten wir einen Trinkwasserspender finden. Der Strom dieser Fabrik kommt aus dem staatlichen Stromnetz.
Iliana Steinke
Unser letztes Ziel für diesen Tag sollte eine Mühle sein, also der Ort, an dem aus der rohen Baumwolle nach mehreren Produktionsschritten das Garn entsteht. Die beiden Partner von Texcraft hatten uns netterweise dieses Treffen spontan ermöglicht.
Nach einer mehrstündigen Fahrt durch ziemlich entlegenes Gelände, hielt das Auto auf einem umzäunten und bewachten Areal mit verschiedenen Gebäudekomplexen an. Wir erkannten sofort, dass es sich um ein großes Fabrikgelände und ein Hostel handelte. Am Eingang des Hostels standen viele Mädchen mit rosa Kitteln und Hauben, die von Baumwollfusseln bedeckt waren, und musterten uns neugierig.
Als dann die anderen in Richtung Fabrikhalle liefen, sonderten Iliana und ich sich auf Parags Vorschlag hin (ohne Erlaubnis der Fabrik) von der Gruppe ab und versuchten mit den jungen Arbeiterinnen Kontakt aufzunehmen. Das ging relativ einfach: wir stellten uns vor, fragten nach ihren Namen und lachten etwas mit ihnen (auch wenn wir nicht genau wussten, worüber). Dann nahmen sie uns mit ins Hostel und zeigten uns die kargen, aber einigermaßen sauberen Räumlichkeiten. Es wurden immer mehr Mädchen, die uns neugierig umringten, uns ihre Hände reichten und uns ihren Freundinnen vorstellten. Da es sich um Migranten-Arbeiterinnen handelte, die weder die lokale Sprache noch richtig Englisch sprachen, war unsere Konversation stark beeinträchtigt, aber wir konnten dennoch einiges über sie erfahren. Als wir die Mädchen nach ihrem Alter fragten, nannten sie uns Zahlen zwischen 15 und 20. Allerdings schätzten wir manche von ihnen aufgrund von Aussehen und Verhalten auf 14, 13 oder gar 12 Jahre.
Als wir nach diesem kurzen Exkurs zu den anderen stießen, wurden wir mit leicht misstrauischen Blicken, von seiten der Fabrikleiter, bedacht und die Führung durch die Fabrik ging weiter. In der ersten Halle lag die unverarbeitete, rohe Baumwolle in riesigen komprimierten Haufen und wurden von einem Saugluftsystem in den nächsten Raum befördert. Wir durften uns alle Maschinen ansehen: von der Reinigung der Baumwolle über das Kämmen bis hin zum Spinnen. Die riesigen Maschinen und die gigantischen Mengen an Fäden, die diese durchliefen waren sehr beeindruckend für uns und wir durften die technischen Vorgänge fotografieren. Was uns allerdings untersagt war, war das Filmen und Fotografieren der Arbeiter. Die Art und Weise, in der wir von den Aufsehern umringt wurden, machte deutlich, dass auch kein Kontakt zu ihnen erwünscht war.
Ehrlich gesagt sahen fast alle Arbeiter minderjährig aus und es waren größtenteils Mädchen. Sie wuselten in ihren rosafarbenen Uniformen zwischen den unglaublich lauten Maschinen umher. Es war drückend heiß und schwül und die Luft war extrem stickig und so staubig, dass sich im Haar der Mädchen schon ein Baumwollflaum niedergelassen hatte. Außerdem war in der ganzen Fabrik ein ohrenbetäubender Lärm, vor dem die Mädchen in keiner Weise geschützt waren. Anscheinend hatte man sie angewiesen, sich von uns fernzuhalten, aber die Kinder, bzw. jungen Erwachsenen waren sehr neugierig und beäugten uns immer wieder aus einem anderen Korridor oder winkten uns verstohlen zu.
Als ich mich leicht von der Gruppe zurückfallen ließ, kamen die Mädchen, die ich teilweise schon im Hostel gesehen hatte, auf mich zu und reichten mir ihre Hände. Eine von ihnen fing an mir etwas zu erzählen, also reichte ich ihr ein Papier und einen Stift. Doch als sie gerade ihren Namen notiert hatte stand plötzlich ein Aufseher vor uns. Unwillkürlich legte ich den Arm um die knochigen Schultern des Mädchens und erschrak davor, wie zerbrechlich und dürr sie war. Der Mann schien etwas unentschlossen. Er inspizierte das Geschriebene und lotste mich dann mit einem halbherzigen Lächeln zur Gruppe zurück, während das Mädchen noch einmal kurz winkte und dann weghuschte.
In diesem Moment fühlte ich mich ganz schön hilflos und auch die anderen wirkten nach dem Fabrikbesuch leicht mitgenommen und nachdenklich.
An diesem Tag ist uns klar geworden, dass wir nicht wirklich über die Dinge urteilen können die wir erlebt haben. Natürlich haben uns die Anblicke der eingesperrten Mädchen und die harten Arbeitsbedingungen geschockt, oder anders berührt. Aber wir haben keinen direkten Vergleich zu den richtig schlimmen Fabriken. Diese Mühle war ja immerhin noch GOTS zertifiziert, was eigentlich einen gewissen sozialen und ökologischen Standard garantiert. Wir kennen eben weder die Hintergründe, noch all die anderen komplexen Zusammenhänge.
Theresa Maes