Am 16.10.2016 haben wir uns gegen 13 Uhr auf den Weg zur Garment Labor Union (GLU), einer hiesigen Gewerkschaft, die sich für mehr Rechte und bessere Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie einsetzt, gemacht. So überrascht wir über die guten Verhältnisse in der kleinen Fabrik (Inertia) einige Tage zuvor waren, waren wir nach diesen Treffen ergriffen. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass uns die Menschen ihren schockierenden Arbeitsalltag so genau schildern würden. Uns waren zwar die Umstände und Bedingungen bewusst, unter denen konventionelle Kleidung produziert wird, aber das von Arbeitern bestätigt zu bekommen löste ein ganz anderes Gefühl aus.
Als wir nach langer Fahrt ankamen wurden wir gleich zu einem kleinen Hauseingang geführt. Auf einer schmalen Treppe gelangten wir in den zweiten Stock. Im Eingang standen viele Paar Schuhe. Nachdem wir auch unsere ausgezogen hatten betraten wir einen Raum. 22 Frauen und Kinder saßen auf dem Boden und guckten uns mit großen Augen an. Wir setzten uns zu ihnen in den Kreis.
Zuerst erklärte Parag den Frauen auf der lokalen Sprache wer wir waren und warum wir sie besuchten. Die Frauen waren alle Näherinnen in konventionellen Fabriken und konnten nur die lokale Sprache sprechen und verstehen. Die Präsidentin der GLU, auch eine ehemalige Näherin, sprach Englisch. Nach dem Parag uns vorgestellt hatte erzählten einige Frauen Geschichten aus ihrem Arbeitstag.
Eine Frau berichtete, dass sie vier Tage zuhause bleiben musste, da ihr Kind krank war. Als sie wieder zur Arbeit kam wurde sie von den Aufsehern beschimpft und beleidigt.
Eine andere Frau erzählte, dass jeder Arbeiter nur einen Arbeitsschritt auszuführen hat. Die Anforderung ist den Arbeitsschritt 120 mal pro Stunde auszuführen, realistisch sind jedoch nur 35-40 mal. Um die Erwartungen zu erfüllen müssen sie Überstunden machen, die allerdings nicht bezahlt werden. Nur die Überstunden, in denen sie die Erwartungen erfüllen, werden bezahlt. Die Erwartungen zu übertreffen ist jedoch unmöglich. Wenn sie die Anforderungen nicht erfüllen, bekommen sie kein Geld.
Uns wurde von einer anderen Frau das System für die Toiletten in einer Fabrik erklärt. Für 3.000 Arbeiter gibt es in ihrer Fabrik nur vier Toiletten. Um auf die Toilette gehen zu können, muss man eine von fünf Münzen haben, auf die man jedoch lange warten muss.
Wenn die Näher jeden Tag pünktlich kommen, bekommen sie 500 Rupies pro Monat mehr, wenn sie jedoch nur einmal drei bis fünf Minuten zu spät kommen erhalten sie dieses Geld nicht. Die Frauen müssen außerdem ihre Zimmer 10 Monate im voraus bezahlen. Dafür müssen sie viele Kredite aufnehmen.
Während ihrer Arbeit in der Fabrik sind die Näherinnen und Näher komplett von der Außenwelt isoliert. Sie dürfen keine Telefone oder andere Geräte mit denen man kommunizieren kann mit in die Fabrik nehmen. Dies ist gerade für eine Frau die eine Familie mit Kindern zuhause hat ein Problem, da sie nicht erreichbar ist.
Die unausgebildeten Arbeiter erhalten 6000 Rupies pro Monat und die ausgebildeten 8000. Dies reicht nicht zum Leben aus. Auf die Frage, wieviel sie zum Leben wenigstens brauchen antworteten sie, dass 18000 bis 20000 Rupies minimal reichen würden.
Der wirksamste Protest gegen diese Situation vorzugehen ist für die Arbeiter der Streik. Um diesen finanzieren zu können hat die GLU eine Streikkasse, um die Arbeiter während des Streiks bezahlen zu können. Wir haben ihnen auch etwas Geld für ihre Streikkasse gegeben.
Eine andere Frage die wir gestellt haben war, ob sie in den letzten Jahren eine Veränderung in den Fabriken bzw. in der Produktion festgestellt haben. Die Frauen erklärten uns, dass die Zustände sich verschlechtert haben, da die Anforderungen immer höher werden und sie immer mehr produzieren müssen.
Manchmal kommt es wohl auch zu physischer Belästigung der Aufseher gegenüber der Arbeiter. Die Frauen erzählten das sie oft mit “Darling” und ähnlichen Wörtern angesprochen werden. Wenn sie dagegen etwas sagen verschlechtert sich ihre Situation.
Eine andere Frage die uns sehr interessiert hat war, wann die Frauen angefangen haben zu arbeiten. Normal ist es, dass die Frauen bis zur zehnten Klasse zur Schule gehen (die zehnte Klasse in Indien ist nicht mit der deutschen zehnten Klasse zu vergleichen). Danach fangen sie mit 15 Jahren an zu arbeiten. Mit 16-17 Jahren werden sie dann verheiratet.
Außerdem fragten wir ob die Arbeiter eher kleinere oder größere Fabriken bevorzugen, wobei wir bei der kleinen Fabrik an eine Fabrik wie Inertia mit weniger als 30 Mitarbeitern dachten. Die Näherinnen hatten jedoch eine Fabrik mit 500 Arbeitern vor Augen. Ihnen war die größere Fabrik lieber, da sie dort zwar weniger verdienen, die Arbeitsumstände aber besser sind.
Iliana Steinke